Bärbel Wildemann, 64, Laborantin, Thüringen

Die politische Wende im Herbst 1989 sollte auch die Wende im Leben von Bärbel bringen. Sie wollte ein schöneres Leben. Dafür demonstrierte sie mit Tausenden Kali-Kumpeln. Der Westen wurde zum Sehnsuchtsort - die Marktwirtschaft kam. Auf die stellten sich auch die Beschäftigten im Kalisalzbergwerk Bischofferode ein. Doch gegen die unfairen Methoden der Treuhand waren die Kumpel chancenlos.

Es herrschte eine wahnsinnig geladene hochexplosive Stimmung Anfang der 1990er Jahre, eine Gemütslage, die sich um ein Haar mit Wucht entladen hätte. Mein Mann und ich arbeiteten beide im Kalisalzbergwerk Bischofferode, ich im Labor, er als Gütekontrolleur in der Qualitätskontrolle. Als uns mitgeteilt wurde, dass unser Werk erhalten bliebe und in selbiges zugleich einige Millionen D-Mark investiert würden, glaubten wir, es geschafft zu haben. Wir wähnten uns auf der Siegerstraße und nahmen, um unser Häuschen baulich endlich auf Vordermann zu bringen, einen größeren Kredit auf. Nicht ahnend, dass alles ganz anders kommen sollte. Wenige Wochen nach der Wende waren wir Kali-Ost. Nur wenige Kilometer weiter gab es Kali-West. Wir ahnten nicht, dass die Treuhand Schlimmes im Schilde führte. Die leistete ganze Arbeit und setzte auf Weisung der Regierung die De-Industrialisierung des Ostens um. Gnadenlos. Die erste Aufgabe des neuen West-Chefs, den die Treuhand in unserem Werk einsetzte, bestand darin, die gesamte Betriebsleitung rauszuwerfen und durch West-Manager zu ersetzen. Die ersten Kumpel fanden sich auf der Straße wieder, weitere 750 standen ebenfalls auf der Abschussliste. Es sollte ein Abschied auf Raten werden.

Dabei hatten wir noch mindestens für 40 Jahre Kali-Vorräte liegen und feste Verträge mit Abnehmern in Europa. Doch das interessierte niemanden, schon gar nicht die Treuhand. Angeblich sollten viele Ostbetriebe saniert werden. Wir glaubten das. Das hatte man uns weisgemacht. Doch damit begann die Lüge vom Aufbau-Ost. Alle Maschinen, die nach der Wende in Millionenhöhe in unserem Betrieb neu angeschafft wurden, sind postwendend in den Westen gebracht worden. Uns wurde gesagt, wir seien mit unseren alten Maschinen nicht wettbewerbsfähig. Diese Halunken, diese verdammten Lügner! Doch das ließen wir uns nicht gefallen. Wir kämpften, wir ergaben uns nicht unserem Schicksal. Auf keinen Fall. Und so sehe ich sie noch genau vor mir, die ersten zwölf Kumpel, die 1993 nach dem betrieblichen Aus unseres Kalibergwerks spontan in den Hungerstreik traten. Gleich neben unserem Labor, in dem ich arbeitete, befand sich der Speisesaal, dahinter ein Sozialraum, in dem sie ihre Feldbetten aufstellten. Fortan wurde kein schmackhaftes Essen an die Kumpel ausgegeben, die tief unter der Erde das begeherte Kali abbauten, sondern es gab Tee. Tee gegen den Hunger. Mal kochten wir den, mal die Sekretärinnen, mal Frauen aus anderen Bereichen. Außerdem besorgten wir ihnen Bücher. Doch nur Tee, das kann auf Dauer nicht gut gehen. Ging es auch nicht. Nach 14 Tagen trugen Pfleger den ersten Kumpel auf der Trage zum Krankenwagen, um ihn ins Krankenhaus zu bringen. Einen Mann, auf den zu Hause nicht nur seine Frau, sondern auch vier kleine Kinder warteten. Was ist, wenn die Kinder ihren Vater nie wieder sehen? Wie soll die Frau die Kinder durchbringen? Sie kann doch nicht einfach alles stehen und liegen lassen? Mir lief es eiskalt den Rücken herunter, das vergisst mein sein Leben lang nicht. Ich war zu Tode erschrocken, als ich nach etlichen Tagen in die Gesichter sah: Kein Essen zu sich zu nehmen, veränderte bei den Männern von Tag zu Tag das Aussehen. An einigen Betten stand ein Tropf, der den Männern Flüssigkeit zuführte, um den Körper vor dem Austrocknen zu bewahren. Alle Kumpel waren ausgezehrt, als wären sie um Jahre gealtert, die Wangen traten hervor, das Gesicht wurde schmaler, ich hatte so etwas zuvor noch nie gesehen. Einige froren, der Kreislauf spielte verrückt, strähnige Haare hingen herunter, die Augen wirkten doppelt so groß. Ihre Sachen passten längst nicht mehr, es schien, als wenn sie die einst viel zu groß gekauft hätten. Die damals zuständige Pfarrerin erklärte, dass sie weinenden Männern Beistand und Mut zusprechen musste. Es galt, Dehydrationszustände unbedingt zu vermeiden, darauf achtete eine Ärztin. Insgesamt beteiligten sich 42 Kumpel an dem Hungerstreik, der weltweit Beachtung fand. Die Bergleute hielten etwa 80 Tage durch...

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