Anett, 30, Fachverkäuferin, Sachsen-Anhalt
Es ist etliche Jahre her, dass Anett von ihrem Freund lange Zeit schwer misshandelt wurde. Das Brutale kannte keine Grenzen. Nur mit Mühe entkam die junge Frau eines Tages diesem Martyrium. Anett redet aus einem einzigen Grund über ihr Leben: Sie will helfen, andere Frauen vor diesem Schicksal zu bewahren, sie will ihnen Mut zusprechen, ihr Leben endlich selbst in die Hand zu nehmen.
So wie der Wind mit den Blättern spielt, so spielt das Schicksal mit den Menschen. Was ein unbekannter Verfasser mit den wenigen Zeilen so wunderbar ausdrückt, ist für mich bittere Realität. Warum ausgerechnet ich ausgesucht wurde erniedrigt, gequält und geschlagen zu werden, ist mir schleierhaft. Nein, Gnade und Barmherzigkeit habe ich nicht erfahren. Und wenn doch, dann zu spät. Unmittelbar neben dem Wort Gnade existiert das viel gemeinere Wort Ungnade. Wird nicht davon gesprochen, dass jemand in Ungnade gefallen ist? Das bin wohl ich. Aber warum? Ich habe niemandem etwas Böses getan. Wem offenbar keine Gnade zusteht, der hat wohl keine Chance, der muss sozusagen in den sauren Apfel beißen und seinen Peiniger erdulden. So ist er nun mal, der Wind, der mit den Blättern, sprich mit dem Leben der Menschen spielt. Mal erwischt es diesen, mal jenen. Diesesmal bin ich eben an der Reihe. Mein Schicksal möchte ich kurz und knapp auf den Punkt bringen: Das Leben, das ich sechs Jahre lang durchgemacht habe, wünsche ich meinem ärgsten Feind nicht. Dabei ist meine Kindheit, die ich in einem kleinen Städtchen in Sachsen-Anhalt verbrachte, noch das Harmloseste. Nicht schön, eher traurig. An den Geburstagen oder zu Weihnachten gab es, wenn überhaupt, eine Kleinigkeit. In meinen Erinnerungen kann ich so lange kramen wie ich will: Ich kann mich nicht erinnern, dass mir meine Mutter irgendwelche Wünsche erfüllte. Eine schöne Puppe? Ein Lieblingskleid? Weit gefehlt. Es gab stets nur das Notwendigste. Einschließlich Gefühle. Was ich hingegen reichlich hatte, das waren Träume in meiner Seele, Träume, die die Realität um mich herum leichter ertragen ließen. Wohl deshalb ist meine kindlich blühende Phantasie manchmal mit mir durchgegangen wie ein wildes Pferd, das nicht mehr kontrollierbar ist. Jäh unterbrochen wurde meine Einbildungskraft lediglich am frühen Morgen, zur Aufstehzeit, in der Träume enden und der Realität weichen. Als Kind hatte ich einen Wecker, schließlich war es meine Aufgabe, morgens allein aufzustehen, um mich fertig zu machen für die Schule. Frühstück? Fiel aus. Doch das war mir egal, mein sehnlichster Wunsch bestand darin, den Wecker vorzustellen. Möglichst so weit, dass ich in eine andere Welt hätte springen können. Eine, ich der ich willkommen war. Ich kann mir nicht recht vorstellen, dass ein Leben noch trauriger verlaufen kann als meins. Geradezu symptomatisch ist auch das soziale Umfeld, in dem ich aufwuchs: Keine bevorzugte Gegend, die sich meine Eltern ausgesucht hatten. Wobei mein Vater schon beizeiten das Weite gesucht hat.
Verpasst hat er jedenfalls nichts in unserem heruntergekommenen Mehrfamilienhaus aus den 1930er Jahren, an dessen Fassade seit dem Ersteinzug nichts erneuert wurde. Sichtbares Zeichen waren die bröckelnden Backsteine und maroden Fenster, die den Namen nicht verdienten, denn sie ließen den Wind weitestgehend ungehindert durch. Eine klapprige und löchrige Bruchbude, Sammelpunkt für gestrandete und zugleich undurchsichtige Elemente. Meine Mutter, so bezeichne ich mal das weibliche Wesen, welches mir das Leben schenkte, liebte mich nicht. Sie hatte nur verachtende Gesten und Worte für mich übrig. Sie dachte ausschließlich an sich. Ein jeder wird schnell nachvollziehen können, wie meine Kindheit aussah. Herzenswärme war mir fremd. Die suchte ich woanders. Und die bekam ich auch, obwohl ich mit meinen 14 Jahren mehr Kind als junges Mädchen war. Von der Natur ausgestattet mit einer zierlichen Statur, die, wenn man sie nicht gut behandelt, zu zerbrechen drohte. Es blieb nicht aus, dass mich Außenstehende wesentlich jünger schätzten. Was Männer an Frauen in der Liebe anzieht, war mir in jener Zeit nicht klar. Wie auch, wenn einem die Puppen näher am Herzen liegen als alles andere.
Ich jedenfalls war nicht liebesreif. Gefühle hingegen, die hatte ich. Ich war ja schließlich nicht aus Beton. Zuerst waren es gelegentlich Blicke, die ich Maik zuwarf, er hingegen machte Faxen. Das gefiel mir. Ach war der nett. Manchmal ging ich am Tag ein paar Mal die Treppe hoch und und runter, nur um an seiner Wohnung vorbeizukommen. Immer im Glauben, dass er die Tür öffnet und mich anspricht. Da meine Gefühle scheinbar zu ihm durchdrangen, nahm ich an, er meint es ebenfalls ernst mit mir. Dabei kann ich noch nicht einmal richtig sagen, was mich an ihm fesselte. Okay, er sah manierlich aus, dass ihm so manche Frau nachschaute, war ihm klar. Er wusste genau um seine äußeren Vorzüge. Seine Augen waren das Tor zu meiner Seele. Ich kannte den Spruch nicht, dass man nur mit dem Herzen gut sieht, das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar. Mit 14 empfängt man nun mal andere Signale. Maik lockte und verführte mich mit seinen fröhlichen, graublauen Augen, die mir Liebe suggerierten und mich am Ende ins Unglück stürzten. Wenn ein Sprichwort stimmt, dann das: Liebe macht blind. Doch ich war nicht nur blind, ich war doppelt und dreifach vernagelt, kein Durchkommen zu meinem Verstand. Aber: Geht es nicht allen Liebenden so, dass sie anfangs die eigene Beziehung rosarot sehen? Diese Unschuldsformel hat allerdings ein beschränktes Haftungsdatum: Sobald Gewalt in einer Beziehung einsetzt, ist Schluss mit lustig. Diesen Vorwurf, hier nicht reagiert zu haben, den muss ich mir machen. Das weiß ich heute, aber mit 14? Küssen, ja, das war in Ordnung, das hatte ich hinlänglich im Fernsehen gesehen. Aber das hier? Warum ließ ich das zu? Die Antwort ist nicht schwierig - in mir wohnte eine wahnsinnige Angst, dass mich Maik verlässt und mich zu meiner Mutter in ihre Wohnung zurückschickt. Niemals, das darf nicht geschehen - Maik soll immer bei mir bleiben. Für mich stand unverrückbar fest, nie wieder zurück zu meiner Mutter, in die Kältekammer der Gefühle, niemals! Dann lieber bei Maik bleiben. Also ließ ich ihn gewähren: Noch im gleichen Jahr hatte ich mit Maik den ersten Sex. Für mich eine Handlung, bei der ich nichts empfand. Er benutzte mich wie einen Gegenstand, wie die Fernbedienung für den Fernseher, drücken und fertig. Ich lernte alsbald am eigenen Leib spüren, dass Eifersucht eine Leidenschaft ist, die mit Eifer sucht, was Leidenschafft. Maik war extrem besitzergreifend. Fuhren wir im Auto und mussten beispielsweise an einer Ampel halten und ein vorbeigehender Passant schaute rein zufällig zu uns ins Auto, wusste ich hundertprozentig was passiert: Maik stellte mir spontan die Frage, ob ich den Mann kenne. Natürlich kannte ich ihn nicht. Woher auch. Aber Maik gab keine Ruhe, immer und immer wieder konfrontierte er mich damit, woher ich diesen Mann kenne, der zu uns ins Auto geschaut hatte. Zehn Mal oder gar noch mehr richtete er die gleiche Frage an mich. Da ich das nicht beantworten konnte, bezichtigte er mich der Lüge. Maik glaubte mir einfach nicht. Ich blieb bei allen Fragen stets ruhig, um ihn nicht noch mehr aus der Fassung zu bringen. Aber wahrscheinlich tat ich genau das Falsche. Zu Hause angekommen, setzte er die „Aussprache“ fort. Bis zum Erbrechen. Es dauerte nicht lange und Maik änderte seine Verhörmethoden - er schlug mich. Es hagelte Schläge und Tritte, wo immer er mit Händen und Füßen an meinem Körper einen Treffer landen konnte. Mit der Faust ins Gesicht, so brutal, dass ich eine Platzwunde am Kopf davon trug. Körperliche Attacken gehörten zum erweiterten Standardprogramm der seelischen Erniedrigung und Züchtigung.
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